Lika Nüssli zeichnet Gegen das Vergessen im Cartoonmuseum

Lika Nüssli, Photo von Herbert Weber, 2021

Mit Im Taumel wirft das Cartoonmuseum Basel einen Blick auf das vielförmige Werk von Lika Nüssli, einer der avantgardistischsten Zeichnerinnen der Schweiz.

Die Natur ist omnipräsent im Werk von Lika Nüssli. Ihr kurvenreicher und wutentbrannt freier Zeichenstrich gibt oft die Fülle und die faszinierende Struktur der Pflanzen wieder, auch wenn sie versucht die verschlungenen Pfade die Gedanken, Kindheitserinnerungen, Träumereien und Traumata ihrer Figuren abzubilden. Mit 49 Jahren bewegt sich die Schweizer Künstlerin, die in St. Gallen lebt, zwischen Installationen zeitgenössischer Kunst, Performances mit Klangelementen, Malerei und Bewegung sowie Avant-Garde-Comics – sie ist einer der Eckpfeiler der Underground-Revue Strapazin in Zürich – Illustration und Graphikroman. Für den prestigeträchtigen Schweizer Kinder-und Jugendbuchpreis 2022 mit dem frechen Moni heisst mein Pony (in Zusammenarbeit mit Andrea Gerster) nominiert, ist Nüssli im Begriff im Mai ihre zweite Graphic Novel Starkes Ding zu veröffentlichen.


Anhand des Lebens ihres Vaters Ernst behandelt die Künstlerin einen der größten Skandale der Geschichte ihres Landes, jenen der Kinder aus armen Familien, die zwangsweise bei Bauern platziert wurden um als billige Arbeitskräfte zu dienen – oft auf schlechte Behandlung und wilde Schufterei reduziert. Eine Praktik der Verdingkinder,die von der Verwaltung des Bundes und den zuständigen Behörden vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1981 organisiert wurde. Ein Höhepunkt der Retrospektive, die ihr das Cartoonmuseum widmet, sind die Originalzeichnungen des Werkes, mit seinem Stil frei nach der traditionellen Senntumsmalerei aus der Region Toggenburg (an der Grenze zu Liechtenstein) mit ihren Bauern mit männlichen Gesichtern, aber nach Art von Chris Ware und seinem legendären Rusty Brown. „Ich wollte kein historisches Buch machen. Ich habe mir natürlich viele Dokumente beschafft, und ich hatte zahlreiche Photos von damals zusammengetragen, aber die ganze Herausforderung lag darin, mich im Zeichenstrich davon loszumachen“, erklärt die Interessierte. „Es ging für mich darum, diese Geschichte auf subjektive und moderne Art zu erzählen, ebenso aus einem graphischen wie narrativen Blickwinkel.“ Diese gefährliche Form der Auto-Doku-Fiktion beherrscht die Zeichnerin ganz ausgezeichnet, sie die schon 2018 im wunderbaren Vergiss dich nicht die veränderten Beziehungen zu ihrer an Demenz leidenden Mutter erkundete, indem sie mit einer gehörigen Dosis Poesie und Humor den Alltag in einem spezialisierten Altersheim beschrieb. Ein großformatiges Kunstbuch, mit Ledereinband, ein zartgrünes Bibelpapier für den berührenden Prolog in Form eines Briefes an die Mutter und weißer Karton für ein surrealistisches Eintauchen in die Innenwelten dieser alten Menschen. Auf dem Titel ein Bild, das an eine Gravur erinnert, als würde es das Vergessen abwenden. Man sieht darauf die Mutter und die Tochter, verbunden durch ein dichtes Wirrwarr von Erinnerungen… und ihre geteilte Liebe zur Natur.


Im Cartoonmuseum (Basel) bis zum 29. Mai
cartoonmuseum.ch

> Performance Visual Noise in Zusammenarbeit mit dem Jazzcampus Basel, 16/04 (19h30)
> Sonntagsführungen, 10.04. & 08.05. (14 Uhr)
> Führung mit Lika Nüssli und der Direktorin Anette Gehrig mit anschließender Signierstunde, 29.05. (14 Uhr)

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