Urban maelstrom: Big City Liefe im Cartoonmuseum Basel

Spiegelman Cove Raw Magazine

Einfacher Dekor oder eine Figur für sich: Big City Life erkundet den Platz der Stadt bei zwölf großen Comic-Autoren.

Auf einem Hügel voller Blumen sitzend, blickt ein Mann auf die Stadt, die zu seinen Füßen grollt, kompakt, düster und bedrohlich. Mit dieser Holz-Gravur aus dem Meisterwerk von Frans Masereel, Die Stadt (1925) öffnet die beeindruckende Ausstellung im Cartoonmuseum Basel, die zwölf der großen Namen der Neunten Kunst zum Thema Leben in der Stadt vereint. Mit ihrem strengen und fälschlich naivem Stil, ihrem direkten und radikal expres- sionistischen Strich bieten die Zeichnungen des belgischen Pioniers einen teuflisch schlagkräftigen Ausgangspunkt. Von in alle Richtungen rasenden Autos verstopfte Straßen, zusammengepferchte Fußgänger, die versuchen, sich in den Lücken einen Weg zu bahnen, Szenen von Menschenmassen in den großen Geschäften, auf den Bahnsteigen, bei Zirkus-und Boxveranstaltungen oder im Kabarett, Schwierigkeiten des Lebens der einfachen Bevölkerung, der Prostituierten, die sich vor ihren reichen Kunden zeigen, geschlagene oder erwürgte Frauen… Alles ist da. Auch die Poesie: Eine der meisterhaften Illustrationen bildet ein Tetris-Spiel mit Gebäuden nach, die ineinander geschachtelt sind. Im Vordergrund geben drei geöffnete Fenster den Blick auf die Räume der Bewohner frei, Bruchstücke einsamer Geschichten, die zur Meditation einladen und einen Moment auftauchen, bevor sie im urbanen Malstrom untergehen.

Von Art Spiegelman bis Chris Ware
Die völlig textlosen Bilderzählungen von Masereel, die zu ihrer Zeit von Stephan Zweig oder Thomas Mann bewundert wurden, werden heute als Vorreiter des zeitgenössischen graphischen Romans betrachtet. Sein Einfluss ist bei allen in der Ausstellung gezeigten Künstlern zu sehen. Vom Meister Art Spiegelman, Autor von Maus, dessen Bildtafeln mit nüchterner Komposition eine depressive Vision des New Yorks seiner Anfänge zeigen, bis hin zum unklassifizierbaren Chris Ware, der Galionsfigur des aktuellen Comics, der eine zwanghafte Obsession für die Konstruktion von Panels pflegt. Der Besucher, der den ihm gewidmeten Saal durchstreift, ist verblüfft von der Art und Weise auf die sein Werk Building Stories, mit seinen fragmentierten Erzählungen des Alltags der Mieter in einem Wohnhaus in Chicago die Dialektik von Masereel aufnimmt, zwischen individueller und kollektiver Dimension der Stadt, intimem und sozialem Leben, Innen und Außen.

Die tausendköpfige Hydra
Im Laufe des Rundgangs erscheint die Stadt vor allem als ein Raum der grundlegenden Widersprüche. Für den Schweizer Helge Reumann, dessen methodische Härte ebenso beeindruckt wie erschaudern lässt, ist sie zunächst der Ort, an dem der Mensch seine Beherrschung der Natur ausdrückt um ihr Meister und Besitzer zu werden. Währenddessen ist sie bei der Italienerin Gabriella Giandelli der phantasmagorische Rahmen für entwurzelte Wesen, die den Sinn für tiefe Beziehungen verloren haben, welche sie untereinander und mit der Schönheit der Welt verbinden. Aber unter den zahlreichen Gesichtern der Stadt, ist jenes, das uns Michaël Matthys präsentiert sicher das ergreifendste. Der in Charleroi geborene Maler und Comiczeichner fängt auf dem Papier den Verfall der ehemaligen Stadt der Kohle-und Stahlindustrie im Flachen Land ein. Seine Zeichnungen, die mit Rinderblut ausgeführt sind, das er in den Metzgereien der Gemeinde einsammelt, schaffen es die Essenz dieser trostlosen Region einzufangen: Ihre Straßen, Menschen, das Innere der verlassenen Fabriken, den Schmerz der Umstrukturierung, die Arbeitslosigkeit, die Wut, die Resignation, auch die Liebe und dann… die wilde Energie der Verzweiflung. Von den düsteren Landschaften zu schönen kleinen Liebespaaren, vom Wahnsinn zum Humor, vom Horror zum Märchen, die Visionen dieser Künstler, ob es sich um Will Eisner, Sempé, Lorenzo Mattotti, Christoph Niemann, Marcel Schmitz oder auch Yann Kebbi handelt, antworten aufeinander, unterscheiden und widersprechen sich. Aber aus ihrem Aufeinanderfolgen steigt peu à peu eine komische Gewissheit auf, eine Idee der Stadt als ein lebendiges Wesen, das bebt, wimmelt, blutet und vibriert – und manchmal auch stirbt, wie jene, die sie bewohnen.


Im Cartoonmuseum Basel, bis zum 20. Juni
cartoonmuseum.ch

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