Serge Rezvani: Begegnung mit einem lebendigen Mythos

Serge Rezvani © Vincent Muller

Autor von Kult-Liedern, Maler, Poet, Romanautor… die unstillbare Neugierde von Serge Rezvani lässt ihn neue Wege beschreiten. Begegnung mit einer lebenden Legende.

Wir sind am Ende eines eisigen Monats November in Metz. Als Gast des Vereins Ciné- Art kommt Serge Rezvani gelassen an. Mit nackten Füßen in seinen weißen Mokassins und einem Seidenschal, den er elegant um den Hals geschlungen hat. Mit 95 Jahren – „Hundert minus fünf“, korrigiert er mit einem Lächeln – ist jener, der sich mit einem schönen Neologismus als „pluri-indiszipliniert“ beschreibt, in bester Form. Es ist unmöglich einen Mann in eine Schublade zu stecken, der sagt: „Ich habe mehrere Feuer im Eisen. Die Suche, die ich durchführe, ist dieselbe, aber ich nutze unterschiedliche Mittel. Ich erinnere mich an Cocteau, dem man vorwarf ein Tausendsassa zu sein, der antwortete „Alles berührt mich“.“ Dieser ewige geniale Dilettant scheint immer am Rande zu sein, oder besser gesagt „nebenan“, so als ob der Ansporn seiner Kreation darin liege, nicht dauerhaft an dem zu hängen, was er kreiert. „Das ist eine Fatalität. Ich ging nie mit der Zeit. Ich habe die Welt der Kunst verlassen, weil ich nicht ertragen habe, was aus ihr geworden ist: eher eine Börse als ein Raum der Suche. Nehmen Sie Jeff Koons: Er ist kein Nachkomme von Leonardo da Vinci sondern von Walt Disney, was er macht amüsiert eine verdummte Bevölkerung, nichts mehr.“ Und er erinnert an das Montparnasse der 1940er Jahre, die Grande-Chaumière, oder auch dieses legendäre Buch, das er mit Paul Éluard realisiert hat, Elle se fit élever un palais. Aber auch diesen Moment, Ende der Sechziger, an dem er mit allem aufhört, „als seine Gemälde wirklich anfangen sich zu verkaufen.

Er beginnt damals mit dem Schreiben von Chansons „aus Freude, um Lula zu Ich habe gesucht, ich habe nie etwas gefunden, deswegen mache ich weiter. verführen“, die Frau, mit der er fünfzig Jahre verbrachte, bis zu ihrem Tod im Dezember 2004. „Als sie in mein Leben eintrat, war es für immer. Wissen Sie, die, die alle Frauen haben, haben keine, und jene die eine einzige Frau haben, haben alle in ihr“, fasst er zusammen. Als Musiker der Nouvelle Vague – „gegen meinen Willen“ präzisiert er.

Er nimmt er das Pseudonym Boris Bassiak an, was in russisch „Landstreicher“ bedeutet: Es wird Le Tourbillon de la vie (Der Sturm des Lebens) für Jules et Jim von Truffaut sein oder Ma ligne de chance und Jamais je ne t’ai dit que je t’aimerai toujours ô mon amour in Elf Uhr nachts von Godard, ein „Typ, der alle verachtete, die ihn bewunderten.“ Aber auch eine Platte auf der Jeanne Moreau singt, insbesondere J’ai la mémoire qui flanche. Im Jahr 1966 hängt er seine Gitarre an den Nagel, als man ihn damit beauftragt für Gréco, Bardot oder Reggiani zu schreiben. Vor dem Erfolg fliehen, aus Angst, davor, dass er ausbleibt… Heute ist er glücklich darüber, dass Léopoldine HH, Dominique A, Cali, Vincent Dedienne, Philippe Katerine seine Chansons pour Lula wiederaufnehmen, indem sie ihnen ihr Talent und ihre Energie einhauchen

Ich habe gesucht, ich habe nie etwas gefunden, deswegen mache ich weiter.

Serge Rezvani ist ein Kind geblieben, das von der Welt entzückt ist, verweigert die Falle der todbringenden Ideologien, an die das Gedicht von Prévert erinnert „Gegen meinen Willen in der Ideenfabrik eingestellt / Habe ich mich geweigert die Stechuhr zu benutzen / Ebenso in der Ideenarmee mobilisiert / Bin ich desertiert / Ich habe nie viel verstanden / Es gibt nie viel / Noch wenig / Es gibt etwas anderes / Etwas anderes / Es ist das, was ich liebe, was mir gefällt / Und was ich tue.“ Und er tut vieles! Vor Kurzem hat er ein Theaterstück veröffentlicht (Moi, Artemisia !, Les Belles lettres, 2023), und er gesteht dass er „einen Manuskript-Stau bei den Verlegern hat“. Bis dahin komponiert er Méditations (Meditationen) über „eine Welt, die verrückt geworden ist, in der die Kon-Zensur herrscht“, ein anderer Neologismus des Poeten, der die langsame, aber sichere, sanfte, aber unerbittliche Umzingelung durch den Konsens bezeichnet, welcher unsere Gesellschaften erstickt. Für ihn ist der Feminismus „zu einem Slogan geworden. Das Weibliche ist das, was wichtig ist. Wenn Gott existieren würde, wäre er nicht männlich“, fügt er hinzu bevor vom Soulèvement de la jeunesse (Aufstand der Jugend) spricht, den der Poet Isidore Isou theorisiert hat, und der heute zur Realität geworden ist: „Ein riesiges Chaos, das keine Gewalt beherrschen wird, erwartet unsere Welt. Denn die Jugend des ganzen Planeten, wird sich plötzlich, wie elektrisiert, erheben, fröhlich, gefährlich, wahnsinnig, schonungslos, blutrünstig! Es wird so sein, als ob ein einziges Überbewusstsein im selben Moment alle bewege“, sagte er im Jahr 2016 in Le Monde voraus. Und er schleudert hervor: „Man sagt, dass Frankreich leidet, aber es teilt nicht viel. Die Jungen finden ihren Platz nicht.“ Ein alter Weiser, der die Babyboomer- Generation in wenigen Worten scharf kritisiert… Im Einklang mit seiner Zeit ruiniert Serge Rezvani den Satz von Picasso: „Ich suche nicht, ich finde.“ Seine Philosophie lässt sich ein einer einzigen Behauptung zusammenfassen: „Ich habe gesucht, ich habe nie etwas gefunden, deswegen mache ich weiter.“


Konzert mit Léopoldine HH in der BNU (Straßburg) am Samstag den 27. Januar im Rahmen der Détours des Bibliothèques idéales, die dem Feminismus gewidmet sind (24.-28.01.)

biblideales.fr

Serge Revzani
Productions Jacques Canetti (15,90 €)
jacques-canetti.com
Das könnte dir auch gefallen