Das Saarlandmuseum – Moderne Galerie erzählt den Mythos Paris

Sabine Weiss, Amoureux s’embrassant un soir de 31 décembre / Verliebte, die sich am Abend des 31. Dezembers küssen, 1956, Bibliothèque nationale de France, Paris.

Mythos Paris. Fotografie 1860-1960 durchforstet in Saarbrücken eine Seite der sozialen und historischen Geschichte der Stadt der Lichter.

Die legendären Pariser Markthallen, die nachts erstrahlen und vor Aktivität vibrieren, wurden Anfang der 1960er Jahre von Romain Urhausen verewigt. Die Fotografie, die als Plakat für diese große Ausstellung in der Modernen Galerie des Saarlandmuseums ausgewählt wurde gehört zu einer Serie zu „der Bauch von Paris“, mit Gerippen von Fleisch, unendlichen Stapeln von Obst-und Gemüsekisten. Eine ganze Epoche, jene vor den Supermärkten und dem Massenkonsum. Auf wihre Weise zeugt sie von einer Zeit, die angezählt ist, den Veränderungen, die im Gange sind, wie bei einem Marville, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die großen Umbauarbeiten in Paris dokumentiert – und damit seine Elendsviertel.

Die Zeiten wandeln sich und die Fotografie hält eine Epoche fest, zeigt sie für die Zukunft. Eugène Atget portraitiert die Straßenhändler und ihre Kinder. Hier ein Scherenschleifer, dort eine Matratzen-Wollkämmerin, Blumen-oder Kresseverkäufer, ein Leierkasten-Spieler um 1910. Es gibt sogar eine echte Mühle in Montmartre, die gegen etwas Kleingeld als Aussichtspunkt über die Hauptstadt dient. Die Realität der Arbeiterklasse ist ein Thema für sich, wie jenes der kleinen Bistrots in denen Kellner hinter dem Fenster posieren, wenn sie nicht unscharf sind, wie Gespenster. Man muss sagen, dass die Belichtungszeiten noch lang sind. Die Wiederentdeckung eines Albums mit 31 Original-Aufnahmen von Paris von Édouard Baldus aus dem Jahr 1860 diente als Ausgangspunkt für die Ausstellung.

Saarlandmuseum
Saarlandmuseum: Eugène Atget, Cabaret de l’Homme Armé, rue des Blancs-Manteaux, 4e arrondissement,
1900, Musée Carnavalet, Paris.

Die ikonischen Monumente zeigen sich hier in ihrem Original-Zustand: Notre-Dame und ihre Gerüste, der Obelisk an der Concorde oder der Arc-de-Triomphe wie Mitten im Nirgendwo. Kein Auto, kaum einige Pflastersteine hier und dort, oft Erde und wenige Gebäude ringsumher. Sehr wenige Pariser, gerade mal zwei Männer mit Kappe, Hut und Stock, die sich im Jardin des Tuileries unterhalten, die anderen haben sich zu sehr bewegt, um von der damaligen chemischen Methode erfasst zu werden. Flüchtige Schatten erkennt man rund um den Brunnen Saint-Michel oder am Ufer des Wassers, das zum Ponts des Arts führt.

Alle großen Fotografen sind mit von der Partie: Brassaï (eine lachende Frau in einer Kneipe zwischen zwei Matrosen), Man Ray, Nadar, Sabine Weiss (das Handgemenge der Kinder im Jardin des Tuileries) und seine zwei Liebespaare, die sich auf einer Bank küssen, wie ein Echo auf den Kuss vor dem Hôtel de Ville von Doisneau, Cartier-Bresson der Giacometti beim Überqueren der Rue Alésia im Regen verewigt, mit dem Regenmantel auf dem Kopf, das in der Hängung dem Portrait des Bildhauers in seinem Atelier von Gisèle Freud gegenübersteht. Die Wände, die Letzterer gewidmet sind, bringen ihre soziale Seite hervor: Les Goudronneurs (Die Teerarbeiter) im Gegenlicht im Dampf des Asphalts, Les Clochards de Beaubourg (Die Clochards von Beaubourg), die eine Kleinigkeit essen. Die schönsten Entdeckungen bleiben die Portraits der Transvestiten und Transen von Christer Strömholm, Anfang der 1960er Jahre, mit einem Funken Herausforderung im Blick, oder jene von Otto Steinert (und seiner Schülerin Edith Buch-Duttlinger), der Saarbrücken mit seinen Ausstellungen zur subjektiven fotografie geprägt hat: Er schwenkt seine Kamera im Kreis um Spuren auf den Film zu „zeichnen“ oder nimmt Türme aus Stühlen auf, was den Beginn einer gewissen Modernität markiert.


Im Saarlandmuseum – Moderne Galerie bis 10. März
modernegalerie.orgkulturbesitz.de

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