Turandot, oder die unvollendete Liebe
Im Theater Basel (de)konstruiert Christof Loy die letzte Oper von Puccini, mit einer äußerst psychologischen Version von Turandot.
Eine der großerHerausforderungen von Turandot, der unvollendeten Open von Puccini, ist ihr Ende. Meistens wird jenes von Franco Alfano benutzt, ein pompöses Happy End in Form von wenig zufriedenstellenden Wendungen, die die Versöhnung zwischen Calaf (der gerade die drei Rätsel gelöst hat, die ihm die so begehrte Hand der Tochter des Kaisers von China schenken) und der Prinzessin besiegeln. Andere bevorzugen die Version von Luciano Berio, in der die Liebe sich in einem tragischen Atemzug verzehrt. Nichts von alledem in Basel, denn Christof Loy fügt, als Finale, den letzten Akt von Manon Lescaut ein, einem Jugendwerk des Komponisten, dessen Heldin, an der Seite ihres Geliebten, in der Wüste verdurstet und dabei die vergangenen Schandtaten bereut. „Die beiden Figuren scheitern im Leben und in der Liebe“, fasst der deutsche Regisseur zusammen, der, um seiner Aussage Kohärenz zu verleihen, als Prolog Crisantemi einfügt (dessen Themen Manon Lescaut durchziehen). Wenn das Ganze auch einen komischen Eindruck eines musikalischen Patchworks hinterlässt, kann man den dramaturgischen Reiz der Juxtaposition nicht leugnen.
Indem er sich der Unvollständigkeit von Turandot als weißes Blatt bedient, zeigt Christof Loy eine traumatisierte Frau (als Kind dargestellt, wie es mit Gewalt eine Puppe enthauptet), die vom Schicksal ihrer Ahnin verfolgt wird, die entführt, vergewaltigt und ermordet wurde. Es ist diese bedrückende psychologische Dimension, die den Kern einer Produktion bildet, die sich in einem Bühnenbild der Belle Époque mit diskreten chinesischen Bezügen entfaltet, während die Protagonisten mit Allerwelts-Kostümen bekleidet sind. Diese Wahl von großer Nüchternheit erlaubt es dem Zuschauer sich auf die zahlreichen neurotischen Knoten zu konzentrieren, die sich ihm präsentieren. Manchmal ist die Gewalt auch physisch: Der Prügel und dann die Hinrichtung des persischen Prinzen – dem es nicht gelungen ist auf die drei Rätsel zu antworten – was an einige Horror-Szenen aus den Stücken von Romeo Castellucci erinnert. Am Ende steht Calaf, als einziger Überlebende – ebenfalls schwerverletzt, der seinem Vater seine politische Würde zurückgeben will – den Kadavern von Turandot und Liù gegenüber. Er versteht, dass die Liebe, die er zur Ersten hegte nur ein Trugschluss war, im Gegensatz zur bedingungslosen und aufopfernden Liebe, die die Zweite ihm entgegenbrachte. Während das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von José Miguel Pérez-Sierra warme Farben annimmt, kann es ebenfalls in kritische Schwärze abtauchen. So bleibt man verzaubert von der Leistung des Schweizer Orchesters, sowie von jener von Miren Urbieta-Vega, einem bis zum Äußersten gequälten Turandot – der auch eine wahnsinnig gute Manon ist – und (vor allem) von Mané Galoyan. Der armenische Sopransänger ist ganz einfach faszinierend, als Liù mit seinen hohen Tönen von großer Eleganz und seiner strahlenden Bühnenpräsenz.
Im Theater Basel, am 3., 9. und 29. Mai sowie am 1. Juni
theater-basel.ch