immergrün

Sabbat de sorcières, 1510, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Mit Hans Baldung Grien, Heilig/Unheilig, widmet die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe einem der größten Künstler der deutschen Renaissance eine beeindruckende Retrospektive.

Schwindelerregende Zahlen: 200 Gemälde, Gravuren, Zeichnungen und Fenster von Hans Bildung Grien (1484/1485-1545) – und fünfzig Werke seiner Zeitgenossen Cranach, Schongauer, etc. – darunter 62 Gemälde (also zwei Drittel des erhaltenen gemalten Werkes). Diese Retrospektive, die Größte seit 1959, erlaubt es einen neuen Blick auf einen Mann zu werfen, dessen Spitzname sicherlich von seiner Vorliebe für die Farbe Grün abgeleitet ist. So färbte er manchmal das Papier, auf dem er zeichnete, wie in seinem Jugendlichen Selbstbildnis (1501/1502) voller Finesse. Die brillant von Holger Jacob-Friesen kuratierte Landesausstellung nimmt uns mit auf einen chronologischen Rundgang. Im Laufe der Säle begleitet der Besucher eine Entwicklung von der mittelalterlichen Spätgotik, über der noch der Schatten von Grünewald schwebt (wie in einer Schmerzensmutter von 1516/1517), bis hin zur „Befreiung“ der Renaissance. Er wird von thematischen Stationen strukturiert: Eine von ihnen analysiert die starke Beziehung, die er zu Dürer unterhält, bei dem HBG in Nürnberg lernt. Neben Zeichnungen von Gesichtern im Profil, bei denen das Ohr mit anatomischer Präzision bearbeitet ist – was zeigt, das der Schüler daran arbeitet sich dem Meister anzunähern – oder Gravuren mit ähnlichen Themen, wird eine blonde Haarlocke ausgestellt, die er bei Dürers Tod 1528 erhält.

Couple mal assorti, 1528, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Heilig

Zu seiner Zeit erneuert HBG die religiöse Kunst, indem er expressive Tafeln malt, die auch den zeitgenössischen Betrachter stark fesseln: In einer Geburt Christi von 1539 ist das Jesuskind fahl und griesgrämig, mit einer Leichenblässe, die im selben Bild auf aufwühlende Weise Geburt und Tod Christi vereint. Man weiß nicht ob er in Windeln oder schon in ein Leichentuch gewickelt ist. In einer anderen Komposition zum gleichen Thema (um 1530) erhellt ein grell leuchtendes Baby die gesamte Krippe mit einem so blendenden Licht, dass Joseph und die Engel den Blick abwenden müssen: Nur die Mutter ist nicht von jenem geblendet, der das Licht der Welt verkörpert. Oft ist die Jungfrau eine sinnliche Frau mit erotischer Macht, die dem Betrachter direkt in die Augen schaut, wie in einer erstaunlichen Maria mit Kind und Papageien (1533). Auch wenn Luthers Botschaft, die ab 1520 in Straßburg verkündet wird, wo Baldung den größten Teil seiner Karriere verbrachte, mehrere seiner Gravuren durchzieht – von denen einige in der elsässischenHauptstadt gezeigt werden, in einer Ausstellung, die seinem graphischen Werk gewidmet ist und auf jene in Karlsruhe antwortet – bleibt er pragmatisch und erfüllt Aufträge für die verschiedenen Konfessionen. Sein Meisterwerk? In der Ausstellung auf Bildschirmen zu sehen (die es erlauben an Details heranzuzoomen), aber man muss einige Kilometer zurücklegen um es zu betrachten, denn es handelt sich um den Hochaltar des Freiburger Münsters.

Nativité, vers 1539, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Unheilig

In einem grundlegenden Werk, das vom Museum angekauft wurde, Lot und seine Töchter (1535/ 1540) verschmelzen Heiliges und Weltliches, verweisen auf das Ungleiche Liebespaar (um 1530), das einen lüsternen Graubart und ein schwaches Fräulein mit sehr traurigem Gesicht zeigt, das sehr viel jünger ist als er, sichtlich schwanger, dem er eine Handvoll Goldstücke zugesteckt hat: Die moralische Verurteilung ist augenscheinlich, ganz im Gegenteil zu zwei weiteren Gemälden mit dem selben Titel. Auf dem einen stellt Baldung eine frivole Kurtisane dar, die sichtlich dabei ist, außerhalb des Bildes einen älteren Mann zu masturbieren, auf dem anderen zeigt Cranach ein Freudenmädchen, das sich fröhlich aus der Geldbörse seines zahnlosen alten Knackers bedient, der völlig ihrem Charme erlegen ist. Man entdeckt auch mythologische Kompositionen (einen unglaublichen Kampf zwischen Herkules und Antaios von 1531, in dem die physische Spannung so intensiv wie selten ist) oder einen Bereich, der den Hexen gewidmet ist: Höllischer Sabbat, nackte Frauen, die auf einem Bock durch den Himmel reiten, Versammlungen, die sowohl an lesbische Dreier als auch an eine Teufelsbeschwörung erinnern und Paarungen mit dem Dämonen. Eine zügellose Sexualität entfaltet sich, die die Kunstfertigkeit des Zeichners unter Beweis stellt… welche in seinem Karlsruher Skizzenbuch gipfelt (digital einsehbar), das hunderte vorbereitende Zeichnungen vereint, derer sich der niederländische Bildhauer Marcel van Eeden angenommen hat, um einen Zyklus von 25 Blättern zu produzieren (ausgestellt im Kupferstickkabinett), einen bizarren Schwarz-Weiß-Krimi, der zeigt, wenn es denn nötig ist, wie modern Baldung ist.


In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, bis zum 8. März
kunsthalle-karlsruhe.de

> Aspekte aus dem Schaffen von Baldung Grien, Musée de l’Œuvre Notre-Dame (Straßburg), bis zum 08.03. musees.strasbourg.eu

> Geheimnisse der Bilder, Baldung Griens Gemälde, im Augustinermuseum (Freiburg im Breisgau), bis 19.04. freiburg.de

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