das recht auf schönheit

Photo de Sophie Dupressoir pour Poly

Als erste grüne Bürgermeisterin von Straßburg hat Jeanne Barseghian am 4. Juli ihren Posten eingenommen. Gespräch über dieses und jenes, ihre besondere Beziehung zum deutschen Sprachraum und zur Kultur, die sie als einen „Vektor für die Veränderung der Gesellschaft und der Emanzipation sieht“.

Der Anfang ihres Mandats ist von einem Streben nach gemeinsamer Konstruktion und einem besonderen Augenmerk auf Transversalität geprägt. Welche Philosophie steckt hinter ihrer kulturellen Aktion?
Sie haben alles gesagt (lacht). Während des Wahlkampfs und seit meiner Wahl haben meine Begegnungen mit zahlreichen Akteuren den Willen gezeigt das „Silo-Denken“ aufzugeben. Wir wollen mehr Interdisziplinarität schaffen: Die Kulturpolitik wird ebenso die europäische Politik betreffen, wie die Bildung, den Öffentlichen Raum, das Vereinsleben, das wirtschaftliche Feld… Bis heute habe ich das Gefühl, dass die Kulturpolitik auf zu abgetrennte Weise geführt wurde. Die Art und Weise wie wir die Führung der Politiker organisieren muss geändert werden. Ich ermuntere zur Kollegialität: Jeder soll alle jene Kollegen einbeziehen, die an einem Projekt interessiert sein können und es mit Akteuren des jeweiligen Sektors und des betroffenen Territoriums gemeinsam aufbauen.

Man erinnert sich an die Assises de la culture1, die Roland Ries2 2009 angestoßen hatte, schon ein Versuch der gemeinsamen Konstruktion…
Sie haben immense Erwartungen hervorgerufen und heraus kam… fast nichts. Es geht nicht darum das Blaue vom Himmel zu versprechen. Wir stehen dafür ein offenes Ohr zu haben, vor Ort zu sein und mit allen Beteiligten zu arbeiten. Es geht nicht darum große Hochämter zu schaffen und schlussendlich nichts umzusetzen, sondern im Alltag neue Arbeitsgewohnheiten mit mehr Transversalität und Zusammenarbeit zu erfinden.

Es ist bekannt, dass das Wort für Sie bedeutungsschwer ist (ihre Femmage an Jacqueline Sauvage). Anne Mistler ist zuständig für „die Künste und Kulturen“: Was bedeutet dieser Plural?
Er resultiert aus dem Gedankenaustausch, der während des Wahlkampfs in Ateliers stattfand, in denen verschiedenste kulturelle Akteure beteiligt waren. Es schien uns essenziell diese Diversität und Vielfalt der kulturellen Sektoren zu vermitteln, aber auch den Begriff der Kunst zu nennen, denn die Künstler stehen im Fokus unserer Bemühungen.

Photo von Sophie Dupressoir für Poly

Wie kann die Kultur zu einem Vektor der Ausstrahlung Straßburgs werden?

Mein Ziel ist es, auf die alltäglichen Bedürfnisse einzugehen und die Zukunft vorzubereiten. Natürlich ist es mein Wunsch, dass Straßburg präsent ist und auf internationalem Niveau wahrgenommen wird. Für mich bedeutet diese Stellung Vorbildlichkeit und Innovation der Projekte, die wir umsetzen werden. In der Vergangenheit hatte man vielleicht diese Ausstrahlung im Kopf, hat aber in den Vierteln der Stadt die alltägliche Kultur vergessen. Die Dimension der Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Zonen ist zentral: Kultur ist nicht dem Stadtzentrum vorbehalten oder einer gewissen Kategorie von Personen. In diesem Sinne ist der Espace Django eine gelungene Umsetzung, von der man sich inspirieren lassen kann: Synergien sind entstanden und er ist nun im Viertel verwurzelt… Ich erinnere mich auch an einen Satz von Lucette Tisserand, einer historischen Kämpferin für das Viertel Neuhof, die meine Aktion prägt. Sie zeigte auf auseinanderfallende Treppenhäuser und sagte „Auch wir haben das Recht auf Schönheit.“

Welches sind die Achsen ihrer Kulturpolitik?

Die Unterstützung der Kreation und der Kunstschaffenden in erster Linie: Es ist grundlegend die berufliche Eingliederung der jungen Künstler zu erlauben. Es fehlen Orte um zu arbeiten, zu proben oder auszustellen. Unsere Mission wird es sein, Orte in allen Stadtvierteln zu identifizieren, die Professionellen, aber auch Amateuren dienen können, die auch nicht vergessen werden dürfen. Es ist auch wichtig den Platz der Künste und der Künstler in der Stadt neu zu denken: Ich denke an die schöne Dynamik, die sich in der Rue de la Vignette mit der riesigen Freske
von Dan23 entwickelt hat. Die Anwohner haben sich den öffentlichen Raum neu angeeignet, dank der Kunst, die den Alltag verändert… Wir müssen derartige Initiativen möglich machen.

Welche Grenze sind zwischen Kultur und Unterhaltung zu ziehen?
Beide gehen Hand in Hand: Ich glaube nicht an eine Kultur mit einem großen K einerseits und populäre Unterhaltung andererseits.

Was ist ihr Projekt für die Oper, eine Einrichtung in jämmerlichem Zustand, für die es zwei Optionen gibt (Renovierung / Anbau vor Ort oder ein Neubau), und das ein alter Hut des kulturellen Lebens im Elsass ist?
In den vergangenen zehn Jahren war die Oper kein Thema und sie ist es nur wieder im Zuge des Wahlkampfs geworden. Es ist unvollstellbar, das Dossier noch sechs weitere Jahre unter den Teppich zu kehren. Ich muss mir einen Durchblick verschaffen und habe vorgeschlagen sehr schnell eine Mission zur Information und Einschätzung durch den Code général des collectivités territoriales3 zu organisieren, die sechs Monate lang alle politischen Gruppen einbindet und Experten anhört. Und am Ende werden wir einen Aktionsplan verabschieden…

Gerade sind die Bibliothèques idéales zuende gegangen, welche Politik des Buches vertreten Sie?

Es war eine Wette die Bibliothèques idéales in diesem gesundheitspolitischen Kontext aufrecht zu erhalten: Sie wurde gewonnen. Ich möchte die Unterstützung dieser Veranstaltung fortsetzen, die ein weltstädtisches Format hat und alle Akteure des Buchsektors in der Region, Bibliotheken und Mediatheken, aber auch lokale Buchhandlungen einbeziehen. Darüber hinaus möchten wir für den Titel der Welthauptstadt des Buches4 kan- didieren, indem wir mit der Gesamtheit der Akteure des Ökosystems Buch, das in Straßburg breitgefächert und lebendig ist, eine ambitionierte Politik entwickeln.

Sie sprechen Deutsch und sind germanophil: Werden Sie eine aktivere Politik in Richtung der Nachbarländer Deutschland und Schweiz führen?
Die Antwort ist ja, ja und nochmal ja… Mein Lebensweg ist deutsch-französisch, vom Studium bis zur Berufserfahrung und sogar im Privatleben, denn mein Partner ist Deutscher. Meine DNA ist deutsch-französisch: Deswegen habe ich mich vor fast zwanzig Jahren in Straßburg niedergelassen. Die Beziehungen am Oberrhein zu verstärken ist offensichtlich: Es handelt sich für mich um einen gemeinsamen Lebensraum. Die Netzwerke der Städte entlang des Rheins und die Zusammenarbeit mit Stuttgart (mehr Inhalt für die Städtepartnerschaft), Karlsruhe, Offenburg, Freiburg im Breisgau oder auch Basel müssen ausgebaut werden.

Welchen Raum soll der Eurodistrikt einnehmen, der heute eher eine leere Hülle ist?
Es ist wesentlich die Struktur zu reaktivieren, ihr einen echten Fahrplan zu geben, um sie mit mehr Inhalt zu füllen. Die Dinge haben in den vergangenen Jahren ein bisschen begonnen sich zu bewegen, aber zu zögerlich. Das Grenzüberschreitende ist konkret und muss sich in konkreten Projekten ausdrücken.


1 Zwischen Juni und Oktober
 2009 wurden vier thematische Ateliers organisiert (jeweils
für 200 Personen, unterteilt in Arbeitsgruppen mit rund fünfzig Personen) aber auch Kultur-Cafés und einer Homepage um Ideen und Vorschläge zu sammeln
2 Straßburger Bürgermeister von 2008 bis 2020
3 Prozedur des französischen Verwaltungsrechts
4 Titel der jedes Jahr einer Stadt
von der Unesco verliehen wird,
als Anerkennung der städtischen Programme zur Förderung von Buch und Lektüre. In diesem Jahr ist es Kuala Lumpur.

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