Scheiß krieg

Photos de Stéphane Louis pour Poly

Kämpfe, einer gegen hundert im unaufhörlichen Bombenfeuer: Der Hilsenfirst ist vom Krieg gezeichnet. Wanderung auf den verschneiten Hängen eines vergessenen Erinnerungsortes von 1914/18.

Ganz am Ende des Münstertals liegt Sondernach zu Füßen der Berge, eine wunderschöne Sackgasse, die vom massiven Kirchturm einer „Denkmal-Kirche“ beschützt wird, die im Laufe der 1920er Jahre in einem patriotischen Stil erbaut wurde, der für die Dritte Republik charakteristisch ist. Die Inschrift, die die Fassade ziert, gibt den Ton an – „An unsere tapferen Soldaten, das dankbare Elsass“ – ebenso wie ein erstaunliches Kirchenfenster, auf dem ein sterbender Soldat des 1. Weltkrieges von einem Engel bewacht wird. Wenige Hektometer weiter parkt das Auto am Ufer der Fecht, eine steile Wanderung beginnt.


Algerien
Ein Schild gibt die Richtung an: „Mt. Sidi-Brahim“. Bis zum Monument erlaubt die Steigung, die zunächst auf sich schlängelnden Wegen leicht ist und sich dann ab den verschneiten Böden verstärkt, keine Pause. Mit kurzem Atem lässt sich jeder vom Rhythmus des Gehens wiegen. Die Wälder sind verlassen. Kein einziger Wanderer in diesem neuen Lockdown. Nur das dumpfe Geräusch der beschleunigten Schritte eines Rehs, das sich schnell in Sicherheit bringt oder das dumpfe und harte eines Stammes, der unter Einfluss des Eises zerspringt, stören den Geist der großen Stille des winterlichen Waldes. Nach und nach wird die Landschaft düsterer. Einige Spuren des Krieges tauchen auf, die zunächst diskret sind: Stahlteile, die aus der Erde ragen, eine komische Konstitution des Bodens, die an einen entstehenden Schützengraben erinnern könnte… An diesen Hängen haben im Laufe des 1. Weltkrieges brutale Kämpfe stattgefunden, aber im Gegensatz zu berühmten Orten – Maginot-Linie und Hartmannswillerkopf allen voran – blieb dieses Schlachtfeld vergessen und ist dem ewigen Frieden der Geschichte überlassen. Eine einfache Marmor-Platte mit der Aufschrift „Sidi-Brahim“ ist an einem Felsen angebracht. Zu ihren Füßen ein Band in den französischen Nationalfarben, das ein wenig Farbe in eine Landschaft bringt, die von makellosem Weiß bedeckt ist. Kein Zusammenhang (oder fast) mit dem berühmtesten Fusel Afrikas, einem Stern des Weinanbaugebiets Französisch-Algerien, der heute in… Tunesien produziert wird. Der Ort war das Theater einer Heldentat im Juni 1915: Vier Tage lang leisten die vom Kapitän Manhès kommandierten Soldaten, die in der Unterzahl sind, Widerstand gegen die Deutschen, kämpfen mit allem was sie finden. Auf Anordnung des Generals Louis Ernest de Maud’huy wird die 6. Kompanie des 7. Bataillons der Alpenjäger „Compagnie de Sidi-Brahim“ getauft um an die Schlacht zu erinnern, die zwischen dem 23. und 26. September 1845 zwischen den französischen Truppen und Abd el-Kader stattfand, während derer eine Handvoll Jäger und Husaren 10 000 Männern des Emirs die Stirn boten.

Foto von Stéphane Louis für Poly


Vogesen
Die Stille ist total. Die Geräusche werden von einem schweren Schneemantel gedämpft. Wir steigen bergauf durch eine Vegetation, deren gequälte Formen an die Vergangenheit erinnern. In der Ferne fliehen flott einige Gämsen. Der Gipfel des Hilsenfirsts (1274 Höhenmeter) gleicht der Mondoberfläche: Der Boden zeigt noch die Spuren der harten Kämpfe von 1915 und der unaufhörlichen Schüsse der Artillerie. Heute ist alles ruhig auf dem Gipfel, über den Winde wehen, die den Schnee verteilen. Bei schönem blauem Himmel ist die Sicht auf den Schnepfenried großartig. Plötzlich taucht eine Schneeböe den gesamten Berg in tiefste Nacht. Die Sonne ist nur noch ein Schatten, der sich fahl auf dem Schnee widerspiegelt. Wir lassen dieses Universum aus Eis und Gespenstern (manchmal bekannt, da der Wüstenfuchs Erwin Rommel 1916 und Harry Truman, der spätere Präsident der Vereinigten Staaten 1918, hier kämpften) hinter uns und steigen ins Tal ab. Der Geist tendiert dazu, vor diesen dunklen Erinnerungen zu flüchten. Tausendundein Vorwände bieten sich ihm um zu entfliehen: Die Form des Mooses, das sich um einen Stamm ausbreitet und an die Op Art von Vasarely erinnert, ein Gesicht, das von Picasso gemalt sein könnte in der Eisschicht einer Pfütze, kubistisches Gewirr von Baumstümpfen, die am Rande des Weges liegen… Als wir wieder zum Auto zurückkehren, hat sich das Leben durchgesetzt.

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