My Heart Will Go On : Pedro Barateiro im Crac Alsace

Cantina [Cantine], 2014-2022 © Aurélien Mole

Mit Love Song verleiht der Crac Alsace dem portugiesischen Künstler Pedro Barateiro eine Stimme, der den Einfluss des Neoliberalismus auf die Intimität unserer Leben kritisiert.

Ich will nicht die Welt verändern, sondern nur versuchen sie ein bisschen liebenswürdiger zu machen.“ Das beschreibt in wenigen Worten die Arbeit von Pedro Barateiro. Als engagierter Künstler, erbarmungsloser Kritiker des Kapitalismus und der gefährlichen Einflüsse für unsere Subjektivität entfaltet der Lissabonner von 43 Jahren seit rund fünfzehn Jahren ein vielförmiges Werk. Zeichnung, Skulptur, Video, Performance, Photographie… Er erkundet die Art und Weise auf welche das ökonomische Biest prägt und sich von unserem alltäglichen Leben ernährt, von unserem Verhalten und unseren Vorstellungswelten. Eine unsichtbare Bestie ohne Gesicht. Hier gibt es weder eine Diktatur, noch ein oligarchisches Regime, keinen neuen faschistischen Staat, dem man direkt den brutalen Verlust unserer Freiheiten anhängen könnte. Es ist ein anonymes System, eine immaterielle Struktur, der wir uns gezwungenermaßen alle anpassen müssen, gemacht aus sozialen Netzwerken und Data, Algorithmen und Marken, Kommunikations-Diskursen, die das Individuum in die unverzichtbare Selbstverwirklichung drängen. 

Im Zeitalter des Postfaktischen hat sich Barateiro dazu entschieden Love Song mit historischen Photographien eines anderen portugiesischen Künstlers beginnen zu lassen, des Photographen Mário Varela Gomes, der am 26. April 1974, Mitten in der Nelkenrevolution, die Erstürmung der Zensurbüros von Salazars Regime, durch Demonstranten, die nach Freiheit riefen, festhielt. „Dies Aufnahmen, die zum kollektiven Gedächtnis meines Landes gehören, erscheinen mir im Zeitalter des allseits Digitalen von entscheidender Bedeutung zu sein“, erklärt der Künstler. „Sie erinnern uns daran wie sehr die Information – und der Zugang zu ihr – ein Machtwerkzeug ist.“ In Zusammenarbeit mit demZentrum für zeitgenössische Kunst in Almada produziert, im Rahmen der Saison Frankreich-Portugal 2022, setzt der Animationsfilm Monologue pour un monstre (Monolog für ein Monster) seinerseits eine reizende Comicfigur in Szene, die sich in einem persönlichen und intimen Ton an das Publikum richtet, während sie vom Transformationsprozess erzählt, die sier* gerade durchlebt. Von der Stimme der Transgender-Schauspielerin Naelle Dariya getragen, steht die Kreatur zu ihrer nicht-binären Identität, spricht über die Art und Weise, wie die Informationen, die sie aufnimmt und erzeugt sie schlussendlich verändern und wie sie sich mit der Welt verbindet, die sier umgibt. Ein Stück von zarter Fremdartigkeit, irritierend, das den Besucher auf eine weitere starke Werk-Erfahrung des Rundgangs vorbereitet, jene die der Ausstellung ihren Namen gab. Auf einem weichen Teppich installiert, lässt sich der Betrachter von einer Video-Sequenz hypnotisieren, die eine Live-Übertragung einer der Kameras der Internationalen Weltraumstation ist. 45 Minuten lang hört man dazu eine Tonspur der Menschheit, die sich da unten zu schaffen macht: Ein Gespräch am Strand, die Aufnahme eines Story-Scrolls auf Instagram, Audre Lorde, die Usages de l’érotique : l’érotique comme pouvoir liest oder auch die Noten von My Heart Will Go On von Céline Dion, die auf der Orgel einer Kathedrale gespielt werden.


Im Crac Alsace (Altkirch) bis zum 15. Mai
cracalsace.com

* Während das französische Wörterbuch Le Robert das geschlechtsneutrale Pronomen „iel“ Ende 2021 aufgenommen hat, gibt es in der deutschen Sprache noch keinen Konsens. Mehrere Neologismen vom englischen „they“, über „xier/xieser/xiem/xien“, sowie die Zusammenzüge „ser“ oder „sier“ aus „sie“ und „er“ koexistieren momentan.

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