Interview mit James Ellroy, dem Star des Roman noirs

Photos de Benoît Linder pour Poly

Beethoven, Bruckner und Konsorten, Marylin Monroe aber auch alte Liebesgeschichten: Begegnung mit James Ellroy, Star des Roman noir hardboiled, war in Straßburg um über sein aktuelles Werk, Die Bezauberer zu sprechen. 

In einem Sessel der Bar des Hôtel Cathédrale de Strasbourg sitzend, in dem seine ein Meter Neunzig kaum Platz fin- den, ist der „Dog“ seinem Ruf treu: Blick kälter als der Tod, Hawaii-Hemd und Skandieren, das unverkennbar ist, zwischen Langsamkeit und Sakralität. Er lässt uns auf kuriose Weise an das Portrait des Schriftstellers Max Herrmann-Neiße (1925) von George Grosz denken. Für die Bewerbung des dritten Bands von Das zweite L.A.-Quartett, Die Bezauberer gekommen, geht James Ellroy auf sein Publikum zu, das sich im Kino Cosmos drängelt. „Die Franzosen sind meine Adoptivbrüder, aus einem guten und einfachen Grund: Amerika ist acht mal so groß als ihr Land und doch verkaufe ich hier viermal so viel Bücher wie dort. Das ist das Motiv meiner großen Liebe zu Frankreich und den Franzosen“ gibt er, zwischen Humor und Provokation von sich, wobei er sich nebenbei in den Zahlen irrt. 

Ich bin ein christlicher Autor, ich schreibe christliche Romane… 

Ooga booga 

Vor einem gerammelt vollen Saal zieht der Star-Schriftsteller von 77 Jahren seine Show ab, wechselt zwischen Tiergeschrei – „Ooga booga“, schreit er plötzlich, wobei er die Laute von Höhlenmenschen oder Affen imitiert, man ist sich nicht ganz sicher – und den bewusst zynischen Geistesblitzen. Eine Stunde später ist es ein beruhigter und konzentrierter Ellroy, der uns gegenübersitzt, von seinem aktuellen Werk spricht, einem neuen Puzzle-Stück der fiktiven Gegen-Geschichte von L.A. – von der Attacke von Pearl Harbor, im Jahr 1941, die den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg markiert, bis zum Tod von J. Edgar Hoover, 1972 – den er geduldig seit mehreren Jahren aufbaut: „Ich lebe in der Vergangenheit. Ich habe keinen Computer. Ich habe kein Mobiltelephon. Ich war nie auf einer App. Ich weiß nicht was Whatsapp ist. Ich schreibe meine Romane mit der Hand. Ich lebe in den Jahrzehnten, die meiner Geburt vorangingen“, erklärt dieser blinde Passagier der Gegenwart. In einem extrem dichten Text, ermittelt er zum Tod von Marylin, am 4. August 1962: „Ich habe sie nie geliebt. Im Übrigen habe ich nur drei ihrer Filme gesehen, Niagara, Fluß ohne Wiederkehr und Asphalt-Dschungel. Ich fand sie wenig tiefgründig, dumm und talentlos. Es war eine überschätzte Schauspielerin, deren Sex-Appeal mich kalt lässt.“ Und er fährt fort: „Unter allen Figuren des Buches bevorzuge ich Giorgia Lowall Farr, die vom ersten Mädchen inspiriert ist, dem ich einen Heiratsantrag gemacht habe und ich habe um die Hand von dreizehn Frauen angehalten. Sie hieß Gail Miller und ich war besoffen. Wir waren alle beide besoffen und waren sechzehn Jahre alt, im Sommer 1964. Sie hat einen jordanischen Prinzen getroffen und hat ihn geheiratet… Gail Miller war eine Lustige, Marylin Monroe war eine Zicke“, fasst er mit einem plötzlich verträumten Blick zusammen. Es wird das einzige Mal sein. Der Erzähler der Bezauberer, in dem man auch die Kennedy-Brüder trifft, ist ein immer wiederkehrender (Anti) Held der Geste von Ellroy: Freddy Otash. Korrupter Bulle des LAPD, mafiöser Privatmann oder auch Erpresser, der Mann hat wirklich existiert: „Ich habe ihn gekannt und es war der größte Kotzbrocken von Los Angeles und wenn man die Stadt kennt, will das viel heißen“, fasst Ellroy zusammen, der nichtsdestotrotz ein Wesen auf der Suche nach Erlösung beschreibt. Es ist wahr, dass man zwischen den Zeilen, den Autor als Moralisten erkennt, der die unheilvollen Konsequenzen unmoralischer Handlungen aufzeigt: „Ich bin ein christlicher Autor, ich schreibe christliche Romane, die männliche Figuren in Szene setzen, die nach Erlösung suchen, selbst wenn sie unvollständig ist. Der Verzicht auf Sünden übersteigt alles auf der Erde: Drogen, Ruhm, Geld…“, wirft er ohne Umschweife ein. 

Pom pom pom pooom 

Ausgehend von einer riesigen Masse an Dokumentationsmaterial – das von Forschern gesammelt wird, die dafür entlohnt werden – welches in gewisser Weise als Rohmaterial für die Fiktion dient, verbringt er „ein Jahr damit einen extrem detaillierten Plan zu schreiben, Paragraph für Paragraph. Dann setze ich mich hin um zu schreiben und etwas verbindet sich mit etwas anderem, wie die Teile des Präzisions-Mechanismus einer Schweizer Uhr“, erklärt Ellroy. Man versucht den Vergleich mit einem Komponisten, den er… einfach vom Tisch fegt, aber man hat eine sensible Seite erwischt. Unser Mann gesteht in der Tat, dass er „mehr in den romantischen Sinfonien gelernt hat als irgendwo sonst“. Und er führt aus: „Im Jahr 1960 hatte ein Professor an der John Burroughs Junior High School – er hieß Alan Hyams, Gott hab ihn selig – einen Schallplattenspieler auf seinem Büro. Eines Tages hat er uns dies gezeigt: Pom pom pom pooom. Ich glaube, dass die 5. Sinfonie von Beethoven mein Leben verändert hat. Die wichtigste männliche Figur meiner Existenz war weder mein Vater, noch irgendein anderer Mann, es war er. Er ist mein Seelenverwandter.“ Man darf ihn bloß nicht auf Rock ansprechen – „Eine Musik für Jungfern“ – oder Jazz, der nichtsdestotrotz seine Texte durchzieht. Und er spricht mit Esprit das Adagio der Klaviersonate Nr. 29 „Hammerklavier“ an, das er liebt, vor allem wenn sie von Igor Levit interpretiert wird – „Das ist wie eine Droge“ – aber auch Liszt, Rachmaninow oder Bruckner, von dem er die 4. Sinfonie „Die Romantische“ bevorzugt, eine echte „Mahnung zur Frömmigkeit und zur Liebe, in der Heroismus auf volkstümliche Chansonetten trifft und dieser dumpfe Ruf der Hörner, der das Ensemble prägt.“ Und er schlussfolgert: „Die romantischen Komponisten des 19. Jahrhunderts hatten ganz schöne E***.“ Sie durchziehen sein gesamtes Werk seit Brown’s Requiem (1981). Über Musik zu sprechen begeistert ihn offensichtlich mehr als für unseren Photographen zu posieren. James Ellroy streift also erneut das Kostüm von James Ellroy über… Genau zwei Minuten in einem fahlen Licht, er weist die Idee zurück seine Jacke auszuziehen oder aufzustehen und weigert sich einen Schritt nach draußen zu gehen: „Ich werde hierbleiben. Auf diesem Stuhl, wie ein Tier. Wir sind alle Tiere.“ 

Erschienen im Ullstein-Verlag (26,99€)
ullstein.de 

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