Politik und Alltag in Évidence. Dessiner le présent im Musée Tomi Ungerer

Mounira Al Solh, She, they, we all had it with the 99 names of the flower, 2021-2022 © Barry Pells

Mit Evidenz. Die Gegenwart zeichnen, untersucht das Musée Tomi Ungerer den Alltag mit dem Maßstab des Politischen.

Wenn vier Künstler aus vier unterschiedlichen Ländern zusammenkommen um über ihr Leben zu sprechen, sind es ebenso viele Realitäten, die sich miteinander konfrontieren. Jeder baut zarte Verbindungen zwischen seinem Alltag und der Politik auf, die immer im Hintergrund auftaucht. In seinen intimen Heften, die offen an der Wand hängen, drückt der Libanese Mazen Kerbaj zum Beispiel seine Empfindungen aus und beschreibt seine Handlungen anhand von Notizen und Skizzen, die sich manchmal, wie seine Gedanken, überlagern. Mithilfe eines banalen Accessoires, illustriert eine Montage von Post-its mit dem Titel Remember me when I am not here anymore (2020) – auf denen Skizzen und Texte auftauchen, flüchtige Erinnerungen an a priori unbedeutende Momente, wie eine Einkaufsliste – die Geschwindigkeit mit der der Alltag vorbeizieht und die Augenblicklichkeit in der künstlerischen Produktion. „Dieses Werk sagt sehr viel aus“, erklärt Anna Sailer, Kuratorin der Ausstellung: „Es ist sehr interessant die Medien zu hinterfragen, zu zeigen, dass die Illustration oder die Zeichnung nicht nur der Bleistift auf dem Papier ist. Der Ausdruck der Illustration ist vielförmig“, schlussfolgert sie.

Die Französin Neïla Czermak Ichti bietet ihrerseits zahlreiche Zeichnungen, die unter anderem surrealistische Szenen darstellen, wie Xénomorphe (2018), Zeichnungen mit dem Kugelschreiber, die einen Mann in Szene setzen, in dessen Rücken die Flügel eines Schmetterlings wachsen. In Schwarz und Weiß lässt diese irreale Szene den Besucher in eine bizarre Mischung aus Fragestellungen und emotioneller Leere – jene unserer Gesellschaften? – eintauchen, in Resonanz zum gedankenverlorenen Gesichtsausdruck des Protagonisten. Der deutsche Illustrator Nino Bulling seinerseits, der sich als non-binär bezeichnet, hebt gesellschaftliche Herausforderungen hervor. Seine Gemälde und Comics beschäftigen sich mit zeitgenössischen Themen wie der Umwelt oder Geschlechtsidentitäten. In seinem Comic abfackeln (2022) beschäftigt er sich mit dem inneren Kampf eines Individuums, das versucht in einer Welt Mitten im Klimawandel zu sich zu stehen. Ein Werk dessen seltene Farbtupfer das Ausmaß der erzählten Ereignisse intensivieren, das aber auch sehr kritisch gegen-über der Gesellschaft ist. Und schließlich interessiert sich die libanesische Künstlerin Mounira Al Sohl für den Mittleren Orient, insbesondere für Syrien, das sie gut kennt, da sie im Bürgerkrieg, der ihr Land zerriss (1975-1990), dorthin floh. Mit Zeichnungen und Stickereien, aus denen die Nadeln nicht entfernt wurden um die Kontinuität ihrer Beobachtungen zu zeigen, befasst sie sich mit der politischen Situation. Paper Speakers (2021-2022) zeigt Frauen, die ihre Lebensbedingungen hinterfragen, inmitten von Figuren die eine chirurgische Maske tragen… Eine schöne Parallele zwischen der Corona-Krise, die den Entstehungskontext des Werkes prägt und den Frauen, die in dieser Region der Welt noch zu oft versteckt leben müssen.


Im Musée Tomi Ungerer (Straßburg) bis zum 28. September
musees.strasbourg.eu

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