Der Staat sind sie

Stelios Kallinikou, Flamingo’s Theatre

State and Nature, die erste Ausstellung, die vom neuen Direktoren-Duo in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden kuratiert wurde, hinterfragt den Zustand der Welt.

Nach Monaten der Schließung können es Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız1 kaum erwarten ihre erste Ausstellung zu präsentieren. Deswegen haben sie vier Preludes im öffentlichen Raum installiert, als konzeptuellen Aperitif zu State and Nature. Darunter Encourage The Stream – eine Klanginstallation von Jan St. Werner (ein Teil des Elektroduos Mouse on Mars) – die das Geräusch des Wassers der Oos verstärkt und im ganzen Park bis zur Kunsthalle durch Lautsprecher zu hören ist. Ein akustisches Experiment, das Distanz und Nähe in Frage stellt, Natur und Kultur und gemeinsame Züge mit U des Kollektivs DAF (Dynamic Acoustic Research) aufweist: Ein Metro-Leuchtschild hängt an einem Baumstamm, inmitten einer Klangwelt, die an diese Unterwelt erinnert. Zusammenstoß zweier Universen und poetische Metamorphose des Raums, die auf behutsame Weise zur Thematik der Ausstellung führen, die sich in der Institution entfaltet: „Wir sind in der Türkei der 1980er Jahre aufgewachsen, nach dem Putsch2. Als Kind merkst Du sehr schnell, dass etwas nicht stimmt, dass ein Ausnahmezustand herrscht. Generell ist es dieser Druck auf das Volk – und indirekt auf die Natur – den wir erkunden wollten, egal an welchem Ort oder zu welcher Zeit“, erklärt Çağla Ilk. Und sie präzisiert, dass der Titel der Ausstellung aus der gleichnamigen Gedichtsammlung von Ece Ayhan stammt, genauer gesagt aus einigen Versen des Monuments des anonymen Studenten.

Die Ausstellung mit rund zwanzig Künstlern öffnet mit einer monumentalen Installation von Neda Saeedi, gleichzeitig Garten und Architektur, aus einem erstaunlichen Herbarium. In sehr eleganten Kreationen beschäftigt sich die junge iranische Bildhauerin mit der Realität, wie in Two Shades of Green, das vom plötzlichen Auftreten des Conocarpus erzählt – einem dekorativen und sterilen Baum – der heute in den urbanen Landschaften der Golfstaaten dominiert. Daneben entfalten sich die genialen Landschaftswerke von Mahmut Celayir und die verträumten Gemälde von Alfredo Ceibal, die auf distopische Weise zeigen, wie sein Land, Guatemala, aussehen könnte, wenn die Maya nicht verschwunden wären. Man entdeckt die subtil miteinander verbundenen Werke von Cengiz Tekin (die an das Auftauchen des Asphalts in entlegenen Gegenden der Türkei erinnern und dem damit einhergehenden politischen Willen einen traditionellen Lebensraum in Pfahlbauweise zu zerstören), Nina Fischer & Maroan el Sani bereisen auf brillante Weise einen Staat, der nicht mehr existiert, die DDR (und denunzieren den ökonomisch-patriarchalischen Horror, der ihn manchmal ersetzt hat3) und Stelios Kallinikou (mit Flamingo’s Theater, einer Überlegung zur kolonialen Vergangenheit Zyperns). Und schließlich werden auch die neuen digitalen Staaten – GAFAM und Konsorten – von Simon Denny auf die Anklagebank gebracht, während das Video von Agnieszka Polska, eine verträumte Assemblage von Bildern der Fernüberwachung ist, wie ein sich bewegendes Gemälde in Pixeln, das die Zerstörung des öffentlichen Raums ans Licht bringt.


In der Staatlichen Kunsthalle (Baden-Baden), vom 17. Juli bis 31. Oktober
kunsthalle-baden-baden.de

1 Siehe Poly Nr. 232 oder auf poly.fr
2 Am 12. September 1980 putscht das Militär und installiert eine autoritären Staat. Die Rückkehr zum Zivilregime findet erst im November 1983 statt
3 Das Duo kritisiert die Zerstörung des Palasts der Republik in Berlin, der von einer Rekonstruktion des Hohenzollern-Schlosses ersetzt wurde, von der eine Skulptur aus Sand präsentiert wird, die sie schon ruiniert zeigt… wie es vielleicht in einigen Jahren der Fall sein wird.

Das könnte dir auch gefallen